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Diabetes Wissen

Kohlenhydratfaktor berechnen und testen leicht gemacht

13.10.2023 von Michèle Hofer

Kohlenhydratfaktor berechnen und testen leicht gemacht

Viele kennen es. Man isst häufig dasselbe Frühstück innerhalb der morgendlichen Routine. Zum Beispiel Haferflocken mit Joghurt und Früchten. Immer genau 42 g Kohlenhydrate bzw. ca. 4 Kohlenhydrateinheiten. Doch auf einmal reicht das dafür gespritzte Insulin nicht mehr aus. Das “Diabetes-Monster” feiert eine Party! Unaufgefordert!

Aber nun erst einmal von Anfang an. Bei einer sogenannten intensivierten Insulintherapie wird in der Regel vor dem Essen ein kurz- oder schnell wirkendes Bolusinsulin und zusätzlich ein- bis zweimal täglich ein langwirkendes Basalinsulin gespritzt. Das Bolusinsulin umfasst hierbei das Mahlzeiteninsulin und das Korrekturinsulin. Für diejenigen, die Kohlenhydrate berechnen, wird der sogenannte Kohlenhydratfaktor bzw. das Kohlenhydrat- zu Insulin-Verhältnis zu Beginn der Insulintherapie durch den Arzt oder die Ärztin festgelegt.

Was verbirgt sich hinter den Kohlenhydratfaktor/Kohlenhydrat- zu Insulin-Verhältnis:

👆 Dieser gibt an, wie viel Insulin benötigt wird um den Blutzucker nach dem Verzehr von Kohlenhydraten wieder in den Zielbereich zu bringen.

Wenn Kohlenhydrate in ”Gramm” berechnet werden, spricht man von dem Kohlenhydrat-zu-Insulin-Verhältnis (KI-Verhältnis). Das KI-Verhältnis gibt die Menge an Gramm Kohlenhydraten an, die von einer Einheit  Bolusinsulin abgedeckt werden. Man fragt dann:
“Wie viele g Kohlenhydrate können für 1 Einheit Mahlzeiteninsulin gegessen werden?”

Oder anders ausgedrückt, wenn man Kohlenhydrate in Broteinheiten (BE) oder in Kohlenhydrateinheiten (KE/KHE) berechnet, spricht man vom BE-Faktor oder KE-Faktor. Dieser gibt an, wie viele Einheiten Insulin zur “Abdeckung” einer BE/KE notwendig sind. Man fragt dann:
“Wie viele Insulineinheiten benötigst du für eine Kohlenhydrat- oder Broteinheit?”

Viele Menschen nutzen den ganzen Tag den gleichen Kohlenhydratfaktor bzw. das gleiche Kohlenhydrat-zu-insulin Verhältnis. Da es aber bei jedem Menschen auch tageszeitabhängige Schwankungen der Insulinwirkungen gibt, kann es auch hilfreich sein, mit tageszeitabhängigen Faktoren zu arbeiten.

Passt man die Faktoren/ das KI-Verhältnis an den tageszeitlichen Rhythmus an, so sieht der Insulinbedarf für die Kohlenhydrate bei vielen Erwachsenen so aus:1

Zeitabschnitt

KI Verhältnis

BE/ KE
Morgens (5-10 Uhr) 4-12 g KH/ I.E. 1,0-3,0 I.E/BE, KE
Mittags (10-16 Uhr) 8-24 g KH/ I.E. 0,5-1,5 I.E/BE, KE
Abends (16-22 Uhr) 6-12 g KH/ I.E. 1,0-2,0 I.E/BE, KE
Nachts (22-05 Uhr) 8-24 g KH/ I.E. 0,5-1,5 I.E/BE, KE

Diese Werte können individuell natürlich abweichen, je nachdem, wie sensibel eine Person für die Insulinwirkung ist oder wie ausgeprägt eine vorhandene Insulinresistenz ist.

Mit Hilfe einer Formel kann man eine grobe erste Orientierung bekommen, wie viel eine Einheit Insulin den Glukosespiegel bei Erwachsenen senken kann. Individuell sollte dies jedoch mit dem Diabetesteam abgestimmt werden. Bei Bedarf kann dieser auch durch Tests und Erfahrungswerte an den wechselnden Insulinbedarf zu den unterschiedlichen Tageszeiten angepasst werden.

  • Für Erwachsene, die Kohlenhydrate in Gramm berechnen:2

(6,2 x Körpergewicht in kg) / gesamten Insulintagesbedarf = g KH pro Insulineinheit

  • Für Erwachsene, die Kohlenhydrate in Einheiten von 10, 12 oder 15 g berechnen:

Bei 10 g (KE):

(1,6 x gesamter Insulintagesbedarf) / Körpergewicht in kg = Insulineinheiten pro 10 g KH

Bei 12 g (BE):

(1,9 x gesamter Insulintagesbedarf) / Körpergewicht in kg = Insulineinheiten pro 12 g KH

Bei 15 g:

(2,4 x gesamter Insulintagesbedarf) / Körpergewicht in kg = Insulineinheiten pro 15 g KH

Die Faktoren können sich mit der Zeit ändern:

Wichtig zu wissen ist, dass der Insulinbedarf nicht immer gleich bleibt. Sowohl der Bedarf an Bolusinsulin, als auch der basale Insulinbedarf kann sich durch Gewichtsschwankungen oder hormonelle Veränderungen mit der Zeit verändern.

👆 Daher ist es sinnvoll, die Kohlenhydratfaktoren/ das KI-Verhältnis zu prüfen,

  • Wenn die Glukosewerte VOR dem Essen regelmäßig zu hoch oder zu niedrig sind. Der optimale Zielbereich liegt hier zwischen 80-130 mg/dl (4,4-7,2 mmol/l).3

oder

  • Wenn die Glukosewerte 2-3 Stunden NACH dem Essen regelmäßig zu hoch oder zu niedrig sind. Das heißt 1-2 Stunden nach Start der Mahlzeit sollten die Glukosewerte idealerweise unter 180 mg/dl (10 mmol/l) liegen.3

👆 Bevor man sich den Kohlenhydratfaktor jedoch genauer ansieht, sollte man unbedingt noch folgende Punkte als Ursache für die Glukose-Ausreißer prüfen:

  • Bevor du die Kohlenhydratfaktoren testest, prüfe immer zuerst, ob die Menge an Basalinsulin ausreichend ist, um die Werte auch ohne Mahlzeiten stabil im Zielbereich zu halten. Eine Anleitung zu einem Test hierzu findest du in folgendem Artikel.
  • Wenn deine Glukosewerte nach dem Essen mal im Zielbereich sind und mal nicht, könnte es auch am Schätzen der Kohlenhydratmenge liegen. Prüfe, ob sich da Schätz- oder Rechenfehler eingeschlichen haben könnten.
  • Nutzt du bereits einen Spritz-Ess-Abstand? Falls nicht, kläre mit deinem Diabetesteam, ob dieser dir helfen könnte, die Blutzuckerspitzen nach dem Essen abzumildern. Oft sind 15-20 Minuten Spritz-Ess-Abstand auch bei kurzwirksamen Analoginsulinen der schnellste Weg, um die Glukosewerte zu optimieren.4
  • Oder gibt es Verhärtungen, sogenannte Lipohypertrophien an deinen bevorzugten Spritzstellen? Spritzt du des Öfteren in solch verhärtete Stellen, sodass das Insulin nur zeitverzögert aufgenommen und wirksam werden kann?

Der Kohlenhydratfaktor-Test:

Vor dem Test beachten:

  • Ausgangsglukosewert zwischen 90-140 mg/dl (4-7,8 mmol/l)4
  • Der Test sollte nur bei stabilem Glukoseverlauf durchgeführt werden. Wer ein CGM trägt, erkennt dies an einem horizontalen Trendpfeil.
  • Keine Insulingabe
  • 3-4 Stunden vor dem Test bei Verwendung von kurzwirksamen Insulinanaloga
  • 5-6 Stunden vor dem Test bei Verwendung von Normalinsulin5
  • Letzte Mahlzeit liegt 3 Stunden zurück und sollte leicht verdaulich und nicht zu fett gewesen sein.4
  • Keine Werte < 70 mg/dl (4 mmol/l) in den letzten 6 Stunden
  • Keine außergewöhnliche körperliche Aktivität Aktivität vor dem Test oder beim Test
  • Kein Alkohol in den letzten 12 Stunden.
  • Test nicht bei starkem Stress oder fieberhaften Erkrankungen durchführen.

Durchführung des Test:

  • Für den Test ist eine Mahlzeit nötig, die hauptsächlich Kohlenhydrate, jedoch wenig Fett und Eiweiß enthält. Eine Testmahlzeit könnte 60g Kohlenhydrate (5 BE/ 6 KE) enthalten. Diese Menge an Kohlenhydrate wäre beispielsweise in 85g ungekochten Hartweizennudeln, 77g rohem Reis oder 122g Weißbrot enthalten. Die entsprechende Menge für die Testmahlzeit sollte genau abgewogen werden.
  • Das Insulin für die Testmahlzeit wird mit dem aktuellen Kohlenhydratfaktor berechnet und sollte 20 Minuten (bei Normalinsulin 30 Minuten)  vor der Testmahlzeit gespritzt werden.4
  • Die Kontrolle der Glukosewerte erfolgt stündlich bis zu 5 Stunden nach Start der Mahlzeit. Bei CGM-Träger*innen kann einfach die Glukoseverlaufskurve ausgewertet werden.
  • Im Falle einer Unterzuckerung <70 mg/dl (3,9 mmol/l) den Test unbedingt abbrechen und Traubenzucker einnehmen!

Auswertung des Test:

Der Kohlenhydratfaktor ist korrekt, wenn

  • der Glukosespiegel nach dem Essen unter 180 mg/dl (10 mmol/l) bleibt.
  • der Glukosewert nach einigen Stunden, bzw. vor der nächsten Mahlzeit nicht mehr als 30 mg/dl (1,7 mmol/l) vom Ausgangsglukosewert von vor dem Essen abweicht.4 (bei kurzwirksamen Analoginsulin nach ca. 3h, bei Normalinsulin nach ca. 5h)

Sind die Glukosewerte nach einigen Stunden mehr als 30 mg/dl (1,7 mmol/l) unter dem Ausgangswert, ist der Kohlenhydratfaktor zu hoch, steigen sie um mehr als 30 mg/dl (1,7 mmol/l), ist er zu niedrig.

Bei einer Anpassung der Faktoren ist es sinnvoll, in kleinen Schritten (10-20%) vorzugehen. In Abstimmung mit deinem Diabetesteam kannst du dies auch selbst tun. Wenn du jedoch unsicher bist, besprich dies unbedingt zuvor mit deinem Diabetesteam.

Der Aufwand lohnt sich

Es erfordert Zeit, die Kohlenhydratfaktoren bzw. das KI-Verhältnis zu prüfen.  Aber es lohnt sich, da sich der Insulinbedarf mit der Zeit verändern kann und falsche Faktoren oder ein falsches KI-Verhältnis einer der wichtigsten Gründe für Glukoseentgleisungen nach dem Essen ist.
Teste  die neuen Faktoren/das neue KI-Verhältnis immer ein paar Tage und prüfe, ob die Glukose damit nach dem Essen unter 180 mg/dl (10 mmol/l) bleibt und ob die Glukose vor der nächsten Hauptmahlzeit auf dem Niveau von vor der Mahlzeit liegt.

Der Kohlenhydratfaktor bzw. das KI-Verhältnis ist übrigens auch ein wichtiger Parameter, den man bei der Programmierung eines Bolusrechners benötigt. Ein Bolusrechner kann im Alltag, insbesondere bei wechselnden Faktoren/KI-Verhältnissen, eine hilfreiche Unterstützung sein!

Quellen:

[1] Thurm, Ulrike, Gehr, Bernhard (2020) CGM- und Insulinpumpenfiebel, (4. edition), Mainz
[2] Davidson PC, Hebblewhite HR, Steed RD, Bode BW. Analysis of guidelines for basal-bolus insulin dosing: basal insulin, correction factor, and carbohydrate-to-insulin ratio. Endocr Pract. 2008 Dec;14(9):1095-101. doi: 10.4158/EP.14.9.1095. PMID: 19158048.
[3] American Diabetes Association, 6. Glycemic Targets: Standards of Care in Diabetes—2023. Diabetes Care 1 January 2023; 46 (Supplement_1): S97–S110. https://doi.org/10.2337/dc23-S006
[4] Walsh, John et.al. (2017). Pumping Insulin, everything for success on a pump and CGM. (6.edition), San Diego
[5] SUBITO Schulungsprogramm (Schulungsprogramm für die Insulinpumpentherapie)

Die mySugr Website bietet keine medizinische oder rechtliche Beratung. mySugr Blog-Artikel sind keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern dienen lediglich der Information.
Die medizinischen oder ernährungswissenschaftlichen Informationen auf der mySugr Website ersetzen keine ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung. Wendet Euch bei allen Fragen, die Ihr hinsichtlich einer Erkrankung habt, stets an Eure Ärztin bzw. Euren Arzt.

Michèle Hofer

Michèle Hofer arbeitet seit 2017 als Medical Scientific Advisor begeistert im Monstertamer-Team von mySugr mit. Sie ist staatlich examinierte Diätassistentin, Diabetesberaterin (DDG) und hat Health Care Management an der WU Executive Academy in Wien studiert.

Ihre Berufung hat Michèle schon früh in der Diabetologie gefunden und hat über viele Jahre Menschen mit Diabetes mit allen Therapieformen unterstützt und begleitet, bevor sie bei mySugr das Online-Coaching-Department mitaufgebaut hat.

Redaktionelle Erfahrung sammelte sie davor durch eine Mitarbeit beim Burda-Verlag.

Man kann sie unter anderem im Zuckerjunkies-Podcast zum mySugr-Coaching-Projekt hören.

Als Ausgleich zur Arbeit liebt Michèle es zu kochen, an der frischen Luft sportlich aktiv zu sein und ist ansonsten auch als Mama ziemlich eingespannt.